In Österreich wurden zum zweiten Mal in diesem Jahr die Schulen geschlossen. Wurde es im Frühjahr noch als Homeschooling bezeichnet (dafür sind für gewöhnlich die Eltern zuständig und so war es auch teilweise), so ging man im Herbst nun zu „Distance Learning“ über. Was genau damit gemeint ist, wird von Lehrern unterschiedlich beschrieben. Von achtstündigen Videokonferenzen bis zu Wochenplänen für die die Lehrer für Rückfragen (theoretisch) zur Verfügung stehen, ist die Palette weit verteilt. Der Begriff „Remote Learning“ wird auch häufig erwähnt. Die älteren Semester unter den Leser*innn kennen noch den Begriff „Fernsteuerung“ und wie eine ferngesteuerte (für die Jüngeren: remote) Bildung kommt mir dieser aktuelle Lockdown auch vor.
Fernunterricht aus Sicht eines Vaters
Es folgt ein Bericht von einem Vater mit 4 Kindern. Und um meine eigenen Kinder nicht in Gefahr zu bringen, dass ihnen das, was hier geschrieben wird von Ihren Lehrern vorgehalten wird oder zu Konsequenzen führt, erwähne ich hier noch, dass die Beispiele aus verschiedenen mir bekannten Familien stammen und generell ein Schulsystem zeigen, das diese Probleme aufwirft.
Am Tag vor der Schließung aller Schulen sitzen wir noch beim Essen zusammen und besprechen, wie wir die nächsten Wochen gut miteinander verbringen. Die Patchworksituation der Familie stellt eine zusätzliche Herausforderung dar. Allerdings auch Vorteile. Es heißt nun: „Alle zusammenhalten!“, so weit das geht. Vorangegangene Trennungen und darauf folgende Konflikte werden nun natürlich nicht gelöst. Wir Erwachsene können diese nun aber einmal zurückstellen.
Das Angebot, eine Betreuung in der Schule in Anspruch zu nehmen, wird abgelehnt. Soviel dazu, dass die Kinder die „Schule“ so gerne besuchen. Es geht nicht um die Institution, das sollte allen klar sein. Es fehlen Freunde und soziale Interaktion. Das Lernen und auch die meisten Lehrer*innen gehören nicht zu dem, was die Kinder derzeit vermissen. Wir richten uns also zuhause ein. Teils improvisierte Arbeitsplätze werden in allen verfügbaren Räumen eingerichtet. Zusätzliche Laptops werden noch am letzten Tag von den Schulen übergeben. Zum Glück wurden in diesem Fall von den Behörden und Schulleitungen rechtzeitig entsprechende Vorbereitungen getroffen.
Bereits am ersten Tag des neuerlichen Lockdown geht die Komminkationsplattform Eduvidual der Schule meiner Tochter in die Knie. Sie war scheinbar nicht auf den massiven Ansturm vorbereitet. Es wird kurzfristig wieder auf Email-Aufträge umgestellt. Gleichzeitig gibt es viele Fragen, die an mich gestellt werden. Auch wenn die Lehrer*innen diesmal die Schüler*innen offensichtlich aufgefordert haben, Fragen an sie selbst zu stellen, ist das in der Praxis nicht immer möglich. Wie soll ein Lehrer auf Distanz einem Kind erklären wie ein Scanner funktioniert oder die Datei als vom Smartphone auf eine Plattform geladen werden kann, die diese Form des Uploads scheinbar nicht vorsieht. Die Zeit der Vorbereitung dafür hat man offensichtlich nicht genutzt. Die 2 Monate reguläre Schulzeit in diesem Schuljahr wurde mehr dazu genutzt, den Lehrstoff weiter voranzutreiben. Keinerlei Voraussicht auf einen weiteren Lockdown oder Gedanken daran, dass vielleicht einige noch Aufholbedarf aus dem letzten Semester mit Homeschooling und entsprechenden Lücken im Stoff haben könnten. Schularbeiten werden schnell noch vorgezogen, weil sie dem Lehrpersonal offensichtlich als einzige Möglichkeit erscheinen, dem gerecht zu werden, was vor Jahrzehnten als angemessener Lehrstoff in einem Lehrplan festgelegt wurde. Dass die ein Drittel der Klasse negativ abschließt hat zu keinen Konsequenzen geführt. Ich als Vater habe zumindest nicht davon erfahren.
Das führt mich zum nächsten Punkt: Die Kommunikation. Vieles kommt bei uns Eltern nicht an. Zu Beginn war ich froh, denn ich hatte den Eindruck, dass die Kinder gut klar kommen. Mit der Zeit habe ich aber gemerkt, dass das nur ein äußerer Schein ist, den sie aufrecht erhalten, damit keine Kritik am System und der Praxis der Ausführung durch uns entsteht. Ich wäre gerne mit den Lehrern mehr in (wechselseitigem) Kontakt. Doch das könnte meine Kinder in Schwierigkeiten bringen. Viele Lehrer agieren auch in dieser Situation noch so, wie die, die vorne stehen und unterrichten (da steckt das Wort „richten“ drin. Müssen Lehrer wirklich etwas richten?). Nun ist es aber so, dass Eltern plötzlich aktiver Teil in diesem Dreieck sind. Und wenn wir ganz ehrlich sind, dann sind wir es im klassischen Schulsystem immer, denn die Hausaufgaben können selten von den Schülern ganz alleine bewältigt werden. Ein „ich konnte das diesmal nicht machen, weil ich mich nicht ausgekannt habe“ wird von der Schule aber nicht akzeptiert. Das bedeutet dann gleich eine negative Beurteilung, denn neben Schularbeiten und Mitarbeit in der Schule, zählt die Hausaufgabe ebenfalls zur Gesamtbewertung. Wenn man so oft von der Kraft von Fehlern spricht („Aus Fehlern lernt man!“), dann wird hier kaum darauf Rücksicht genommen. Scheitern ist nicht teil des Gedankenkonzepts der schulischen Bildung. Im Beruf werden viele später darauf genauso reagieren und jegliches Scheitern als Katastrophe erleben bzw. nicht wahrnehmen wollen. Gerade jetzt, wo viele ihren Beruf verloren haben, Unternehmen vor großen Veränderungen stehen und wir auch in Bezug auf das sich rasant verändernde Klima viele unsrer bisherigen Handlungsweisen als „falsch“ eingestehen müssen, wäre ein geschulter Umgang mit diesen Fehlern sehr hilfreich. Fehler, die wir ja nicht als solche gesehen haben, bevor uns die Entwicklung diese nicht als ebendiese vorgeführt hat.
Der aktive Kontakt mit den Eltern und vielleicht sogar die Einbindung in den Schulalltag, wenn dies möglich und gewünscht ist, könnte viele dieser Schwierigkeiten abfangen. Diese Einbindung bedeutet aber auch, dass die Lehrer Eltern nicht wie ihre eigenen Schüler behandeln, sprich „unterrichten“, können. Dass ein Austausch auf Augenhöhe zeitweise auch mit den Schülern möglich wäre, steht auf einem anderen Blatt. Dazu später noch mehr.
Wozu führt diese Art des ferngesteuerten Unterrichtens nun? Die Kinder versuchen weiter, dem System Schule gerecht zu werden. Lernen, was Ihnen von den Lehrer*innen vorgegeben wird, nur das eben jetzt von zuhause. Da die Schulen geschlossen sind, werden zwar keine Schularbeiten abgehalten. Damit das aber nicht dazu führt, dass die Schüler nicht lernen, werden Tests und andere Überprüfungen für die Zeit nach dem Lockdown „angekündigt“. Das System Schule funktioniert ohne diese „Drohgebärden“ scheinbar nicht. Im Unterschied zu Schularbeiten dürfen Tests mehrfach pro Woche stattfinden. So wird die Zeit nach dem Lockdown schon jetzt als sehr belastend von den Schülern empfunden. Was in der Praxis der Unterschied zwischen einem Test und einer Schularbeit ist, bleibt für mich bisher im Dunkeln verborgen.
An dieser Stelle möchte ich allen Lehrern, die unter diesen Rahmenbedingungen ihr Bestes geben, ein großes DANKE aussprechen. Ich weiß, dass viele es tief in ihrem Herzen anders machen würden, wenn es möglich wäre. Alle Schuldirektor*inn*en möchte ich aufrufen sich Modellschulen anzuschauen und alle Möglichkeiten der Gesetzgebung im positiven Sinn auszunutzen. Die Schule von heute muss nicht mehr dem Modell von vor 200 Jahren entsprechen, als die Bedingungen ganz andere waren. Bildungsminister Fassmann möchte ich einerseits dafür danken, dass er sehr lange standhaft auch die Position der Eltern vertreten hat, andererseits möchte ich ihn auch zu etwas mehr Mut aufrufen. Es ist so vieles schon erprobt und als gelungen bestätigt. Das Rad einer neuen Bildung muss gar nicht mehr erfunden werden. Architekten von Schulgebäuden seien aufgefordert sich Gebäude wie das der Alemannenschule Wutöschingen anschauen. Derartige Gebäudestrukturen ermöglichen vielfach erst neues Lernen.
Nach diesem Bericht nun ein paar Anmerkungen dazu, was die Schüler*innen in dieser Zeit des Lockdows lernen könnten (und vielfach auch tun), wenn Lehrer die Chance nutzen, vom alten Weg abzugehen. Dinge, die ihnen in ihrem späteren Leben bestimmt helfen, leider aber kaum in einem Lehrplan vorkommen.
Kreativität und Selbstorganisation
Aufgrund der Familiengröße kann ich meinen Kinder nicht die volle Begleitung in dieser Zeit zusichern. Ihre Kreativität und Selbstorganisation ist täglich gefragt. In diesen Bereichen lernen sie laufend dazu und jeder neue Aspekt kann ihnen im zukünftigen Leben helfen.
Langeweile ist gut
Nicht immer hat man einen Plan, was als nächstes kommt. Ein Gedankenspiel, das ich zu Beginn des ersten Lockdown im Frühjahr 2020 hatte, war, dass die Lehrer nicht erreichbar sind und auch keine Aufgaben kommunizieren. Was wäre dann? Es würde sich bei vielen zuerst vermutlich einmal Langeweile und Desorientierung breit machen. Kinder, die vorher schon klare Ziele und Interessen hatten, würden sehr schnell beginnen, diesen mit vollen Eifer nachzugehen. Andere würden die Langeweile eine Zeit lang aushalten und dann vermutlich auch beginnen ihren wirklichen Interessen zu folgen. Manche würden das vielleicht auch sehr lange aushalten und den Ablenkungen des (digitalen) Lebens freien Lauf lassen. Was am Ende für jeden herauskommen würde, kann keiner sagen. Ein Bericht danach, was man alles gemacht, entdeckt oder auch nur erträumt hat, könnte zeigen, wie die eigene Zukunft ausschauen könnte. Wenn dies dann auch noch (be)wert(ungs)frei passiert, könnte man auch ganz mutig über diese Zeit erzählen, dass man nichts gemacht hat, sehr verzweifelt war, große Sorgen hatte, oder einfach (nur?) viele Stunden in sozialen Medien oder diversen Medienplattformen verbracht hat. Die Zeit wäre jedenfalls gut genutzt und eine nachfolgende Begleitung auf dem so entdeckten eigenen Weg könnte ein wahres Feuerwerk an Kreativität zur Folge haben.
Es könnte dabei sogar passieren, dass Schulthemen Interesse wecken und man bspw. Mathe-Channel auf Youtube entdeckt, denen mehrere 100K Menschen folgen. Und wer hier nur Männer erwartet (tut das irgendjemand?), der sei durch Nicole und Mai eines Besseren belehrt. In punkto Sympathiewerte hoch Wissensfeuerwerk haben sie bei mir die Nase vorne. Und wer Mathematik in Gesangsform lernen will, der folgt einfach mal Dor Fuchs. Dahinter steckt ein junger sympathischer Mann, den ich als Lehrer gerne akzeptiere, auch wenn er mein Sohn sein könnte :).
Was macht so etwas mit Lehrer*inne*n? Wenn Schüler so viel gut aufbereitetes Wissen aus dem Internet bekommen können, wozu braucht es dann noch „Vortragende“ in einem Klassenraum? Die Ausbildung von Pädagogen und Pädagoginnen zielt noch immer auf den eigenen Wissenserwerb ab, um dieses dann in einer Klasse zu unterrichten. In zukünftigen Schulen werden Lehrer aber immer mehr zu Coaches für Studierende, die ihren Weg durch die Wissenslandschaft suchen. Ihr Job ist somit sehr entscheidend für den Erfolg einer Bildungskarriere, mit dem jetzigen Status des „allwissenden“ Vortragenden hat er aber nichts mehr zu tun.
Soziale Aktivitäten, Kochen, Haushalt
Viele Eltern müssen in der jetzigen Situation vieles leisten, das zuvor extern geleistet wurde. Ich koche nahezu jeden Tag und fordere die Kinder dazu auf, mir zu helfen. Daneben sind die Arbeiten im Haushalt intensiver, um alles im Schuss zu halten. Da man sich öfter gegenüber sitzt, ist auch der soziale Austausch intensiviert und es bleibt mehr Zeit für Spiele, Gespräche oder auch Videoabende. Mein ältester Sohn hat viele dieser Dinge auf seinem Lehrplan. Dennoch wird es in keinster Weise honoriert, dass er (vielfach aus eigener Initiative) genau diese Aktivitäten nun zu Hause macht. Ok, schon klar, dass das tägliche Kochen nicht nach genauesten Vorgaben des Lehrplans passiert und dass die Betreuung eines zweijährigen auf dem Moment entspringt und keinem „entwicklungsadäquaten“ Plan folgt. Wenn diese Aktivitäten auch in einem wegen Covid-19 gezwungenermaßen veränderten Lehrplan, Eingang finden würden, könnte in kürzester Zeit eine Generation wachsen, die diese Arbeiten wieder mehr schätzt und sie als Teil eines ganz gewöhnlichen (Erwachsenen)Lebens betrachtet.
Und vieles mehr …
Die Liste könnte noch lange fortgeführt werden. Sport, Hobbies, denen so nun mit viel Zeit nachgegangen werden kann, Bücher lesen oder gar schreiben, … Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
Haben wir diese Chance vertan? Oder werden die Schüler*innen, die 2020 wie keine andere Generation vor ihr Distance Learning erleben, später auch einmal von diesen Erfahrungen erzählen?
#OurTimeIsNOW war der Leitspruch des soeben zu Ende gegangenen Bildungs-Festivals [RE]LEARN. Ich hatte das große Vergnügen dort auch als Speaker zu Wort kommen zu dürfen. Mit unserem Projekt „Learning Playbook“ konnten wir auch die Jury des Hackathon in 3 Kategorien überzeugen und waren somit das erfolgreichste Projekt.
In nur wenigen Tagen brachte unser Team einen Prototyp für die selbst gestaltete Schule der Zukunft auf den Weg. Dabei arbeiteten wir in 3 verschiedenen Zeitzonen und in englischer Sprache, die für viele von uns nicht Erstprache war. Dies zeigt nur, was durch Freiheit, Flow und Kreativität möglich ist.
Ich wünsche zukünftigen Generationen, dass sie diese Freiheit bereits in ihrem Schulleben erleben dürfen und ganz nebenbei Mathematik, Physik, Geschichte oder Philosphie dann spielerisch lernen, wenn sie erkennen, dass es für ein echtes Projekt gerade jetzt wichtig ist.
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