Buchrezension: Ulrich Grober, Die Entdeckung der Nachhaltigkeit – Kulturgeschichte eines Begriffs, Verlag Antje Kunstmann, München 2010
„Wir wollten etwas Nachhaltiges machen! Eigentlich ganz einfach, oder?“
Mit diesen beiden Sätzen beendet Ulrich Grober sein Buch „Die Entdeckung der Nachhaltigkeit – Kulturgeschichte eines Begriffs“. Mit dem „Nachhaltigen“ ist die Pflanzung von Obstbäumen bei einer Veranstaltung angesprochen. Bäume und Nachhaltigkeit, das ist ein Bezug, den viele, die sich mit dem Thema beschäftigen, herstellen. Wie oft hast du schon gelesen: „Der Begriff Nachhaltigkeit hat seinen Ursprung in der Forstwirtschaft.“ Meist endet die Recherche an dieser Stelle auch schon wieder. Als Quelle nehmen viele die Enzyklopädie Wikipedia, und dort beginnt die Begriffsgeschichte eben mit Hans Karl von Carlowitz im Jahre 1713.
Nachhaltigkeit vor Carlowitz
Aber was sagen Franz von Assisi oder Spinoza dazu? Das Konzept der Nachhaltigkeit kam auch schon in Assisis Sonnengesang im 13. Jahrhundert vor. Das Lied ist gleichsam eine Vorahnung auf ein neues Bild der Welt. Ein Bild, das die Sonne ins Zentrum setzt, in dem viele die Erde wähnten. Sogar das lateinische Ursprungswort von Sustainability „sustentamento“ verwendet er. Die Franziskaner brechen auch mit der christlichen Tradition der Providentia, der göttlichen Vorsehung, und damit der Trennung zwischen Mensch und Natur. Ein Thema das aktueller nicht sein kann. Eine der vielfach analysierten Probleme der heutigen Zeit ist der starre Glaube der Menschen an technische Lösungen. Der Bezug zur Natur geht verloren, wenn man daran glaubt, dass alleine die Technik die Probleme lösen kann. Die Knappheit vieler Ressourcen, skandalöse Umweltkatastrophen, wie die von BP und Konsorte verursachte Ölpest im Golf von Mexiko und häufig wiederkehrende natürliche Extremereignisse geben ein Beispiel davon. Zurück zur Natur verstehen viele als „Zurück in die Steinzeit“ und das löst ein beklemmendes, abwehrendes Gefühl aus.
Grober schreibt:
„Wer an die Providentia glaubt, braucht keinen Nachhaltigkeitsbegriff. Denn die Zukunft liegt in Gottes Hand.“
Gott durch Technik ersetzt, könnte man den Satz vielfach auf die heutige Zeit übertragen.
Die Erde als Zentrum und der Mensch als ihr Beherrscher ist ein Bild, das häufig vorkommt. Die Suche nach den Ursrpüngen des Begriffs Nachhaltigkeit setzt Grober daher bei denen an, die nicht diesem Bild anhaften. So sucht er bei Nikolaus von Kues, der bereits im 15. Jahrhundert die Erde als einen Teil des Universums sieht und findet dort das „Samenkorn als Sinnbild für Entwicklung“ das uns „heute hilft mit der Wortverbindung ’nachhaltige Entwicklung‘ angemessen umzugehen„. Oder bei Johannes Kepler auf dessen Berechnungen der Planetenbahnen aus dem 17. Jahrhundert noch die Mondflüge der Nasa basierten. Ein Credo Grobers aus diesen Beobachtungen ist, dass Nachhaltigkeit einerseits immer am Beginn eines epochalen Aufbruchs steht, anderseits dieser Aufbruch mit natürlich und politisch unruhigen Zeiten (Kl. Eiszeit, Pest, Inquisition, Kolonisierung) zusammenfällt. Auch wieder ein schöne Parallele zu heute. Es bleibt die Frage offen, ob der Umkehrschluss, dass es diese Unruhigen Zeiten braucht für einschneidende Veränderungen, zulässig ist. Und natürlich, was nach derartigen Umbrüchen kommt.
Auch bei Spinoza erkennt Grober ein Schema, das den Begriff der Nachhaltigkeit heute bestimmt. Wieder ist es der vermeintliche Widerspruch von Natur und Mensch. Spinoza spricht in seinem Werk „Ethica“ von „natura naturata“ und „natura naturans“ und meint damit einerseits die dem Menschen verfügbare und nützliche Natur, andererseits die vitalen Kräfte der Natur, die übermächtig und unverfügbar sind. „Sie sind die Fülle des Lebens, die Macht des Lebens selbst“. Sie können den Menschen auch zerstören.
Auch den Ursprung für soziale Gerechtigkeit ortet der Autor in Spinozas „Ethica“, wenn dieser meint, dass die Menschen danach streben „… ihr Sein zu erhalten und alle zumal den gemeinsamen Nutzen aller für sich selbst suchen„.
Von Carlowitz bis heute und dennoch nicht bei Wikipedia
Die Begriffsgeschichte der Nachhaltigkeit, wie viele von uns sie kennen und wie sie dann eben auch bei Wikipedia Einzug erhalten hat beginnt bei Grober erst nach über 100 Seiten. Aber auch auf den folgenden Seiten gibt es viel Neues zu lesen. So zum Beispiel, dass es eine junge Frau war, die die Prinzipien der „Sylvicultura Oeconomica“ von Carlowitz erstmals praktisch anwendet. Anna Amailia vom Herzogtum Sachsen-Weimar.
Das Konzept der Nachhaltigkeit in der Forstpolitik hatte einen zentralen Haken: Die Konsequenzen der Forsteinrichtungen führten zu einer Denaturierung im Namen der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit wurde ökonomsiert. „Die Bestandsneugründungen, also die Aufforstungen, wurden mit schnellwüchsigen Bäumen, Fichte oder Kiefer, und in reinen Beständen, in Monokulturen, und in Parzellen von gleicher Altersklasse durchgeführt„, merkt Grober kritisch dazu an. Wiederrum eine Parallele zu Heute. Ökologie wird zu einem Wirtschaftsfaktor und vereinnahmt häufig das Thema Nachhaltigkeit gleich mit. Der Bericht von Philipp Glöckler zur Vergabe des Deutschen Nachhaltigkeitspreises ist ein deutliches Zeichen dafür.
Resumee
Grober ist einer, der am Thema dran bleibt, sehr tief geht. Verbildlicht wird das durch eine Episode bei einem Konzert der Doors im Hamburg der späten 60er. Das Konzert wird nach einem Tumult mit einigen GIs abgebrochen. Grober bleibt sitzen, weil er keine Übernachtungsmöglichkeit hat und daher die Wärme des Saales so lange wie möglich genießen will. Als der Putztrupp seine Arbeit beginnt, legen auch Jim Morrison und Co wieder los. Ein Privatkonzert für Ausdauernde wie Ulrich Grober quasi.
Grober verweist in der „Entdeckung der Nachhaltigkeit“ auch immer wieder auf den veränderten Blick auf die Erde durch den Menschen. Nach Kues und Kepler war es das Bild earthrise der NASA 1968. Die Globalisierung der heutigen Zeit könnte der nächste gesamtheitliche Blick auf unseren Planeten sein. Wir müssen auch noch die Trennung von Natur und Mensch, das zweite Bild, das bei Grober immer wieder vorkommt, überwinden.
Ein Buch, das ich spannend wie einen Roman fand. „Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte“ sangen Freundeskreis 1997. So spannend kann die Geschichte eines Begriffes sein.
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