Wir wissen alles, was in der Welt passiert, oder? Die Medien lassen keine Katastrophe aus. Man muss dafür noch nicht einmal einen Fernseher besitzen oder eine Zeitung kaufen. In Wien genügt die Fahrt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel und man wird von 2 Gratisblättern österreichbekannter Boulvardzeitungen überschwemmt mit bluttriefenden Taten aus aller Welt und nächster Umgebung. Es entgeht uns nichts …. oder doch? Schon einmal von Joanna Macy gehört, von Tiefenökologie und dem großen Wandel.
Letzte Woche nahm ich mit der ganzen Familie an der Konferenz „Inseln im Chaos“ des Holon-Instituts in Lindenberg im Allgäu teil um Joanna Macy und ihre Message zu hören und zu fühlen, was derzeit wirklich in der Welt passiert. „Die Medien werden nicht darüber berichten!“, waren einige ihrer ersten Worte. Damit hat sie nicht die Konferenz selbst gemeint. So etwas ist nicht sensationell genug für unsere „Qualitätsmedien“. Ist auch nicht wichtig. Wichtiger und für Medien dennoch genau so uninteressant wie die Konferenz ist aber das Thema das Joanna Macy als die dritte große Revolution der Menschheit bezeichnet: Nach der Sesshaftwerdung in der Steinzeit und der industriellen Revolution, stehen wir nun vor einer Weiteren. Einer bei der es um unser eigenes Überleben geht, der ökologischen oder Nachhaltigkeitsrevolution. OK, jetzt werden sich einige denken, nicht schon wieder das. Das ist doch nichts neues und nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Die Welt wird schon nicht untergehen und wir schrauben eh schon ein bisschen hier und da herum. „Des wiad schon wida! Keine Panik!“, blablabla,… Doch Joanna Macy bringt es auf den Punkt, worum es geht. Auch mit dem Herumschrauben bleibt ein Paradigma unhinterfragt: Wachstum. Der Beginn der großen Krise ist kaum 2 Jahre her und schon wird wieder vom nötigen Wirtschaftswachstum geredet, ohne dem nichts geht. Die Wahlen zumindest im deutschsprachigen Raum aber auch in England und vielen anderen Ländern werden von Konservativen, liberalen oder gar Rechtsaussen Parteien gewonnen, weil Sozialisten und Linke nichts, aber auch gar nichts anzubieten haben (zumindest in Österreich). „Wachstum in einem System (unsrer Welt), das nicht wächst kann nicht funktionieren. Das versteht ein Kind spätestens mit 8 Jahren.“, so Joanna Macy weiter. Einen einzigen Faktor als Maßstab für das Funktionieren eines Systems zu wählen und diesen dann auch noch konstant wachsen sehen zu wollen, kann nur zum Kollaps führen. Namhafte Ökonomen nennen dieses System daher schon Selbstmordsystem. Doch die Medien werden das nie schreiben. Damit kann man kein Geld verdienen.
Doch der große Wandel ist im Gange. Alle, die hier hergekommen sind (immerhin 190 Menschen allen Alters) wissen und spüren das. Der große Wandel hin zu einem lebenserhaltenden System. Dieser Wandel sei begleitet von einer großen Unsicherheit, so Joanna Macy, Doch diese Unsicherheit führt dazu, dass wir zu unseren besten Eigenschaften, zu einer großen Stärke finden. Wer ist schon motiviert, wenn er/sie hört: „Es wird alles gut werden! Mach dir bloß keine Sorgen!“? Engagement wird dadurch nicht gefördert. man lehnt sich zurück und lässt sich berieseln. Und genau das machen sie dann alle, Medien, Politik und Wirtschaft; „… die Lösung ist so einfach, überlasst nur uns das Suchen danach!“
„Der Große Wandel“ (The great Turning) begleitet uns die ganze Woche. Doch nicht nur dieser. Es wird auch deutlich, dass der große Wandel, die „dritte Revolution“ eines Systems begleitet wird von einem gewaltigen Zusammenbruch. Eine erste Ahnung davon haben wir mit der Finanz- und Wirtschaftskrise bereits mitbekommen.
Diese „Vorhersagen“ hören sich für einige nun vielleicht wie ein Wetterbericht oder die Prophezeiungen eines Sektenführers an :-) und sind schwer fassbar oder führen einfach zu belächelnden Reaktionen über „ewig Gestrige“. „Mach dir darüber blos keine Gedanken. Es wird schon nicht so schlimm!“ … Diese Sorge geht jedoch in Lindenberg keineswegs um. Niemand hier glaubt an Weltuntergang oder dergleichen. Ganz im Gegenteil werden wir dafür sensibilisiert, dass wir den Niedergang des alten Systems begleiten und es behutsam zu einem Ende führen müssen. Denn die kommende oder im Gange befindende Revolution substituiert das alte System nicht einfach. Es wird Veränderungen geben, die manche nicht einfach mitgehen können/wollen, weil sie ihr Weltbild einfach nicht fassen kann, sie dadurch große Verluste vermuten. Diese Menschen, dieses System muss begleitet und behutsam und langsam zu einem guten Ende gebracht bzw. ins neue System übergeführt werden. Gleichzeitig muss natürlich das neue System aufgebaut werden und wir sind schon mitten drin, auch wenn wir es vielleicht nicht wahrnehmen.
3 Dimensionen sind es dabei, die wir betrachten müssen:
- Aktionen setzen
- Neue Strukturen/Wege aufbauen und beschreiten
- Bewusstseinsänderung
1. Aktionen setzen
Diese Dimension hat mich sehr stark an die Diskussion über [intlink id=“353″ type=“post“]Ökos 1.0[/intlink] und Ökos 2.0 erinnert. Aktionen/Protest/Demos beurteilen viele als nicht mehr zielführend. Demos, Besetzungen und dgl. werden als veraltet bezeichnet und nicht selten belächelt. Gerade diese Aktionen sind aber sehr wichtig. Nicht nur sind sie es, die es tatsächlich immer wieder in die Medien schaffen, sondern sie sorgen auch für die Erhaltung vieler Ökosysteme oder Strukturen und geben den Menschen ein Gesicht, die nicht mit deren Zerstörung einverstanden sind. Wir können sie erhaltende Aktionen nennen. Es braucht dazu keine neuen Medien oder Techniken. Ein Gefahrenguttransport, der bereits auf dem Weg ist, wird immer noch am besten gestoppt indem man Straßen blockiert und sich an Fahrzeuge kettet. Eine Facebook-Gruppe oder Barcamps können das nicht bewirken. Sie können helfen zu mobilisieren oder die Leute zusammenzubringen um innovative Ideen zu entwickeln. Zum Verhindern braucht es aber Gesichter und Taten. Die „alten Hippies“ der Öko 1.0 Szene und alle, die ihnen gefolgt sind methodisch und inhaltlich, sind dafür genau die Richtigen.
2. Neue Strukturen und Wege
Dazu gibt es zahllose Beispiele. Insbesondere, wenn man unternehmerische Aktivitäten oder Technologien betrachtet. Dünn wird es in der Politik oder in der Wirtschaft, also auf den höheren Ebenen. Neue Wege und Strukturen bedürfen aber genau dieser Änderungen. Es braucht dazu große Vordenker und längere Perspektiven. Quartalsberichte und ein denken in Funktionsperioden gefährden derartige Visionen und führen zu kurzfristigen Lösungsansätzen wie sie im Jahr 2008/09 zahllos angeboten wurden.
3. Bewusstseinsänderung
Diese ist einerseits die Basis für neue Strukturen und Wege, andererseits aber auch die Garantie für eine dauerhafte Veränderung. Es muss möglich sein neue Gewohnheiten zu etablieren, nachhaltiges Handeln muss der Normalzustand sein. Es darf keine Anstrengungen hervorrufen, die Menschen nicht zu „Sonderlingen“ oder „Linken“ machen. Jeder Einkauf, jede Urlaubsreise muss automatisch CO2 neutral und fair sein, ohne dass man sich dafür extra engagieren muss.
Gleichzeitig muss aber auch im Bewusstsein der Menschen verankert sein, dass wir nur auf einer Welt leben, dass Ressourcen endlich sind und irgendwann Menschen nicht mehr unter Ausbeutung und Androhung von Gewalt für andere arbeiten müssen. JedeR, der/die diesen Schritt schon gegangen ist, weiß, dass auf der anderen Seite des Berges genauso ein gutes Leben, Genuss und Freude warten.
Joanna Macy beschreibt in ihrem Ansatz 4 Schritte, die wir in einer Spirale immer wieder durchschreiten müssen. Die Konferenz „Inseln im Chaos“ orientiert sich demnach auch an diesen Schritten:
1. Dankbarkeit
2. Den Schmerz um die Erde (und deren Zerstörung) ehren
3. Die Welt mit anderen Augen sehen („Deep Time“)
4. Weitergehen
Insbesondere die ersten beiden Schritte sind diejenigen, die in unsrer heutigen Gesellschaft am wenigsten beachtet bzw. praktiziert werden. Ja, wir lernen unseren Kindern bereits in frühesten Jahren immer „schön bitte und danke“ zu sagen. Doch wozu sagen sie bitte und danke. Zu Dingen und Aktionen, die sie von anderen Menschen bekommen. Nicht selten sind das Dinge, die eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollten, wie Essen und Trinken und nicht selten Danken sie damit Menschen, die ihnen eigentlich verpflichtet sind oder hierarchisch überlegen fühlen bzw. auftreten. Ganz anders wird diese Dankbarkeit im Buddhismus oder in verschiedenen indigenen Kulturen praktiziert. Genau um diese Dankbarkeit geht es dann auch bei Joanna Macy, um die Dankbarkeit an allem Leben das uns umgibt und das unser Leben überhaupt erst ermöglicht. Auch viele andere Religionen praktizieren diese Dankbarkeit und uns ist vermutlich das Beten bspw. vor dem Essen am nächsten (wenngleich man hier immer häufiger ein Bitten oder gar ein Fordern nach mehr hört).
„Den Schmerz um die Welt ehren“ hingegen ist eine Praxis, die bei uns keinerlei Tradition hat. gerade in dieser Praxis habe ich bei dieser Konferenz aber die meiste Kraft geschöpft. Eine Übung, die uns dazu angeboten wurde ist ein „Wahrheits-Mandala“. Bei diesem gehen die TeilnehmerInnen nacheinander in die Mitte des Kreises und lassen ihrem Schmerz freien Lauf. Wut, Angst, Ohnmacht, Sorge und Trauer bekommen so Raum und eine Stimme. Die anderen TeilnehmerInnen, die im Kreis rundum sitzen oder stehen hören zu und bilden durch ihre Anwesenheit einen Kessel, der diesen Schmerz hält. JedeR TeilnehmerIn wird so gehalten und am Ende durch die Worte „Wir hören dich!“ oder „Wir sind bei dir!“ gestärkt. Dieser Ausdruck des Schmerzes, den wir alle in uns tragen, ist unglaublich kraftvoll und geht sehr tief. Leider gibt es viel zu wenige Möglichkeiten ihm in derartiger Umgebung den gebührenden Platz zu geben.
Das Thema Tiefenökologie ist tief in mich eingedrungen. Es fügt sich wie ein fehlendes Puzzleteil an einer wichtigen Stelle in ein Bild ein, das vor meinen Augen seit einiger Zeit entsteht. Es zeigt mir auch, dass ich noch immer auf einer Reise in einem Labyrinth bin dessen Mitte ich noch nicht kenne, die ich aber mit größter Freude und der Gewissheit, dass ich irgendwann ankommen werde, ansteuere. Mit Joanna Macy habe ich auf dieser Reise nun eine Begleiterin, die viel Kraft Klarheit gibt.
Stimme Dir im Wesentlichen zu. Und ich glaube, dass wir im Grossen und Ganzen nicht so schlecht unterwegs sind, auch wenn natürlich mehr getan werden könnte. Aber es gibt für alles die richtige Zeit …
Der Übergang in die die Post-Kollaps-Gesellschaft hat schon lange begonnen, wir können heute auf allen Ebenen (Individuen, Gruppen, Völker, …) immer wieder entscheiden, wie gut wir uns darauf vorbereiten wollen.
Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob wir unsere eigene Umgebung und unser Netzwerk nicht ein wenig überschätzen. Es sind bestimmt viele, die schon etwas tun und unglaublich viele Beispiele von Lösungen werden bereits umgesetzt. Manchmal denk ich dennoch, dass das nur die Spitze des Eisberges ist und es noch viel braucht bis sich der Eisberg plötzlich dreht.
Dennoch bin ich sehr optimistisch und sehe meinen eigenen Weg sehr klar. Das ist für mich das wichtigste, denn so bringt einen nichts so schnell aus der Ruhe (etwa, dass BP nun doch „ganz unerwartet“ 12mal soviel Öl in den Golf von Mexiko ausströmen lässt als das zu Beginn bekannt gegeben wurde)
Danke fürs darüber berichten.
Das persönliche Bewusstsein ist meiner Meinung nach der Schlüssel, egal zu was. Wer sich als Mensch nicht als Teil des biologischen Systems versteht, wird einen Teufel tun es zu erhalten.
Es gibt diverse Gesellschaftsbräuche, die einen Naturverbundenheit ausdrücken, hier ein Beispiel. Man öffnet eine Flasche Rum und schüttet den ersten Schluck auf den Erdboden. Man bedankt sich bei der Erde für dieses tolle Produkt. Ihr dürft gerne raten, wo man das so tut. :-)
Für mich kommt noch ein wichtiger Punkt dazu, den wir oft falsch bewerten: als Teil des biologischen Systems sind wir auch vergänglich. Dieses Bewusstsein löst nämlich bei vielen einen irren Druck aus alles in einem Leben umsetzen zu müssen. Die christliche Kultur ist in diesem Bezug auch die einzige, die die Zeit nach dem Tod eher verzweifelt sieht. Oder übersehe ich da eine?
Den brauch mit dem Rum selbst kenne ich nicht. Aber die Praxis ist mir aus Lateinamerika bekannt, wo man die Pacha Mama damit ehrt.
Stammt das „Rum“spucken ev. aus Kuba oder aus Dresden :-)
Man spuckt den Rum nicht in Cuba, sondern schüttet den ersten Schluck direkt aus der Flasche auf die Erde.
DAAAANKE für den tollen beitrag, gerade durch ‚zufall‘ gefunden.
deep ecology rocks!